Der Schrittzähler unseres Smartphones ermahnt uns täglich, die für unsere Gesundheit optimalen 10.000 Schritte zu gehen. Die Telekom investiert in „intelligente Kleidung“, welche Atmung, Herz- frequenz und Kalorienverbrauch messen. Und nachts legen wir bereitwillig unser Smartphone unters Kopfkissen und sammeln Daten darüber, wie lange und – laut App-Entwickler sogar: wie gut wir geschlafen haben.
Prof. Dr. Sebastian Sauer, Professor für Wirtschaftspsychologie FOM Hochschule
Das sind nur kleine Beispiele des sog. „Quantified Self“-Trends, der unser Leben zunehmend bestimmt. Wir messen und vermessen uns, produzieren dadurch unendlich viele Daten mit dem Ziel, schlanker, fitter, ausgeruhter und gesünder zu werden. Oder eben: uns besser einschätzen zu können, verstehen zu lernen und am Ende unser Leben in möglichst allen Bereichen zu optimieren. Willkommen in der Welt des perfekten Seins …!?
Jenseits der Frage, wie dieses Verhalten einzuordnen ist, geht dieser (unaufhaltsame) Trend auch an der Arbeitswelt nicht vorbei. So forscht Prof. Dr. Sebastian Sauer, Professor für Wirtschaftspsychologie an der FOM Hochschule (der uns bei management meetings bereits als Impulsredner überaus interessante Einblicke in das Thema „Big Data“ (Auf den Datenspuren unserer Mitarbeiter…) gegeben hat) am Thema „Mentale Belastung in Mensch-Maschine-Interaktionen“. Was genau hinter diesem Projekt steckt, um welche Daten es dabei geht und ob diese bereits soweit sind, dass ihre Auswertung einen echten Mehrwert bringt, fragen wir Prof. Sauer am besten persönlich:

management meetings: Herr Prof. Dr. Sauer, Sie forschen an der Auslastung des Arbeitsspeichers im Gehirn. Klingt interessant, aber was genau können wir uns darunter vorstellen?

Sebastian Sauer: Wir messen die mentale Beanspruchung bei Computerarbeit. Das ist zum einen für IT-Entwickler interessant, um Rückschlüsse über die sog. Usability zu erhalten, also um herauszufinden, ob ein Nutzer mit einer Webseite, einer App oder einem Gerät bei der Anwendung über- oder unterfordert ist.
Mit der gleichen Messmethode erhalten wir aber auch Daten, die uns zeigen, ob ein Mitarbeiter bei Ausübung seiner Tätigkeit gerade über- oder unterlastet ist. Ziel ist es, den ‚Drehzahlmesser im Kopf’ auszulesen. Ist dieser im roten Bereich, dann ist der Mitarbeiter gerade überfordert. Ist er im grünen Bereich, dann – und das war unsere Ausgangsthese, die wir erforschen wollten – kann der Mitarbeiter besonders produktiv sein. Anders als mit herkömmlichen Methoden, bei denen Testpersonen befragt werden und das Ergebnis entsprechend subjektiv ist, messen wir objektiv und in Echtzeit, wie hoch der tatsächliche Belastungsgrad für den Mitarbeiter ist. Im Grunde ist es nichts anderes als wenn Sie die Auslastung ihres Computerprozessors messen und Informationen darüber erhalten, ob er gerade in die Knie geht, im Leerlauf ist hat oder eben optimal läuft.

management meetings: Wie funktioniert Ihre Messmethode?

Sebastian Sauer: Unser Messinstrument gleicht einer Webcam, welche die Pupillen- größe aufnimmt. Bekanntermaßen vergrößern oder verkleinern sich Pupillen entsprechend den Lichtverhältnissen – Sie kennen das von Ihrem Fotoapparat.
Für uns sind sie aber noch aus zwei anderen Gründen interessant: Zum einen reagieren Pupillen auf Emotionen: Wenn ich Ihnen etwas erzähle, das Sie glücklich oder wütend macht, dann vergrößern sich Ihre Pupillen. Kurz gesagt: Gefühle machen die Pupille weit.
Zum anderen reagieren Pupillen auf mentale Anstrengung. Das heißt, je intensiver sich das Gehirn mit einer Sache beschäftigt, desto größer werden die Pupillen. Daher sind die Pupillen ein Indikator für die „Drehzahl im Kopf“. Wir haben eine Methode entwickelt, die anhand der Pupillengröße vorhersagt, ob der Nutzer wegen Überlastung Fehler machen wird. Das Besondere dabei ist, dass die Vorhersage in Echtzeit passiert und relativ genau ist.

management meetings: Welche Auswirkungen hat es nun auf die Tätigkeit des Mitarbeiters, wenn sich sein Drehzahlmesser bewegt?

Sebastian Sauer: Zu Beginn unserer Forschung stand eine These: Liefern Mitarbeiter bei mittlerer Belastung wirklich die besten Ergebnisse? Oder kommen diese unter Druck zustande, beispielsweise bei Termindruck? Nicht nur bei Studenten herrscht oft die Meinung vor, dass die Produktivität unter Druck steigt, weswegen manche Hausarbeit erst kurz vor knapp und nach einer durchgearbeiteten Nacht fertig wird – mit zum Teil durchaus guten Ergebnissen. Andersrum stellt sich die Frage, ob einem die Arbeit besonders leicht von der Hand geht, wenn gerade nicht viel zu tun ist – schließlich hat man doch Zeit, womöglich gar Muse.
Um das Forschungsergebnis vorwegzunehmen: Zwar sind noch längst nicht alle Fragen geklärt, aber der Mensch erzielt bei mittlerer Belastung tatsächlich die besten Ergebnisse.
Und mit unserer Methode können wir nun genauer messen, wann die Belastung steigt oder fällt, also wann ein Mitarbeiter aussteigt, weil die Belastung zu niedrig ist und die Person offensichtlich kein Interesse mehr an der Arbeit hat oder wann jemand in einen fehleranfälligen Stressmodus fällt, weil es zu viel wird. Diesen Drehzahlmesser genau im Blick zu haben lässt für uns Rückschlüsse zu, ob ein Mitarbeiter in der richtigen Verfassung ist, seine Arbeit gut auszuführen oder eben nicht – mit entsprechenden Ergebnissen für die Produktivität.

management meetings: Welchen Nutzen könnte der Arbeitgeber aus diesen Ergebnissen ziehen?

Sebastian Sauer: Grundsätzlich haben wir im ersten Schritt nur Messungen durchgeführt, also eine Diagnose gemacht. Anders gesagt: Wir haben das Blutdruckgerät gebaut, haben aber keine Pille entwickelt.
Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. Ich greife mal die Berufsgruppe der Fluglotsen heraus: Bei deren täglicher Arbeit kann es extrem gefährlich werden, wenn sie sich in der Überlastung befindet. Daher wäre sinnvoll, deren Belastung zu messen. Im Ergebnis könnten unsere Forschungsarbeit dazu führen, dass automatisch dem gerade zu hoch belasteten Kollegen einige Flugzeuge von einem anderen Kollegen abgenommen werden, der gerade mental weniger belastet ist.

management meetings: Aber grenzt das nicht an totaler Überwachung vor der wir uns fürchten, zumindest schützen müssen oder ist das ganz und gar zum Wohle des Mitarbeiters?

Sebastian Sauer: Selbstverständlich muss man die rechtlichen und auch die ethischen Fragen diskutieren. Fakt ist, die Methode wird intensiv beforscht. Sicher müssen die Forscher noch viele Fragen genauer anschauen. Aber entsprechende Geräte könnten schon bald zu kaufen sein.
Ich möchte als Wissenschaftler vielleicht eines anregen: Für den Arbeitgeber ist gerade ein guter Zeitpunkt, sich damit auseinanderzusetzen, ob, inwieweit und unter welchen Bedingungen er sich bzw. seine Mitarbeiter auf diese Art der, wie Sie es gerade nannten: „Überwachung“, einlassen möchte. Ich würde es übrigens anders nennen wollen: Mit der Technik wird ein objektives Feedback zum geistigen Belastungszustands des Mitarbeiters gespiegelt. Ob ein Arbeitgeber diese Möglichkeiten nutzen möchte und innerhalb welcher verbindlichen Richtlinien, muss er vorab definieren. Das kann eine Betriebsvereinbarung sein oder eine Erklärung, wie mit den Ergebnissen umzugehen ist. Im Beispiel des Fluglotsen müsste entsprechend die Frage geklärt werden, wie man auf Grundlage der Messergebnisse den überlasteten Mitarbeiter unterstützen kann.

management meetings: Der Grat, auf dem wir uns da bewegen, bleibt schmal, denn wenn ich dieses Beispiel weiterdenke, könnten auch sog. Low Performer künftig schnell erkannt werden, deren schlechte Performance allerdings vielfältige Gründe haben kann. Was passiert aber, wenn am Ende des Monats rauskommt, dass der eine Kollege sehr viel schneller überlastet ist als der andere? Ich würde Sie da auch gerne auf Ihre Erfahrung als Personalentwickler ansprechen.

Sebastian Sauer: Ethische Regeln sind an der Stelle nicht nur aus einer grundsätzlichen Überlegung heraus wichtig, sondern auch aus der praktischen. Schließlich sind Leistungskontrolle und Leistungsfeedback seit jeher integraler Bestandteil von Personalführung und Personalbeurteilung und damit eine tägliche Fragestellung in den Organisationen. Das ist weder neu noch anders.
Betrachten wir vor diesem Hintergrund noch einmal das Fluglosten-Beispiel: Ich bin mir sicher, dass ein guter Vorgesetzter mitbekommt, wenn ein Teammitglied ständig mit Überforderung kämpft. Mit oder ohne unsere Messdaten bleibt die Frage, wie damit umgegangen wird, also wie ein fairer und verantwortungsvoller Umgang mit der Situation aussieht. Entsprechend beantwortet sich auch die Frage, wie in der Zukunft mit den neu gewonnenen Daten umzugehen ist.

management meetings: In welchen Bereichen könnte Ihre Forschung noch Anwendung finden?

Sebastian Sauer: Grundsätzlich jeder Bereich, der mit Computerarbeit zu tun hat. Denken Sie an Mitarbeiter eines Callcenters, wo überdurchschnittlich hohe Gesundheitsprobleme aufgrund von Stress statistisch belegt sind.
Das spannende ist ja, dass Mitarbeiter und Vorgesetzter mit unserer Methode eine Überforderung schwarz auf weiß belegt bekommen. Ich denke, dass damit viele Konflikte vom Tisch geschaffen werden, denn auf einmal geht es nicht mehr um ein subjektives Empfinden. Vielmehr wird neutral und objektiv belegt, dass der Mitarbeiter gestresst ist. Damit haben der Vorgesetzter und Mitarbeiter Klarheit über eine tatsächliche Belastung. Und das ist die Basis für ein weiteres, und hoffentlich auch konstruktives Vorgehen.

management meetings: Das ist durchaus ein wichtiger Aspekt, denn die Stimmen, die davon ausgehen, dass das inzwischen beinahe allgegenwärtige Thema Burn-out im weitesten Sinne missbraucht wird, sind immer wieder zu hören. Gleichzeitig leugnen die wirklich überlasteten Personen ihren unguten Zustand sich selbst gegenüber und verstecken ihn vor anderen.
Aber noch eine letzte Frage: In der Einleitung sprachen wir von einem Trend. Wird der Gesundheitszustand der Mitarbeiter künftig überwiegend technisch gemessen?

Sebastian Sauer: Darüber führten wir unlängst innerhalb unseres Fachbereichs eine Diskussion und sind übereingekommen, dass die technische Revolution zunehmend auch im HR ihren Niederschlag finden wird. Das Stichwort lautet hierzu „Quantified Self“. Daten zu generieren ist zum einen beispielsweise über das Smartphone oder eine Smartwatch möglich, aber auch über die gesamten Körpersensoren. Unsere Pupillendaten ordne ich da ebenso zu wie Messungen der Herzrate bzw. deren Schwankungen. Das sind ähnliche Parameter, allerdings mit dem Nachteil zunehmender Unbeweglichkeit, da dafür Messgeräte umgeschnallt werden müssen, während unsere Pupillenmessungen mit einer Art Webcam frei vom Körper ist.
Kurz gesagt: Wir werden da noch viel erleben und die Personalabteilungen stehen noch am Anfang. Aber sie werden sich darauf einstellen müssen, dass sie deutlich mehr Daten der einzelnen Mitarbeiter erhalten und sie sehr bald mit immer mehr Möglichkeiten quantifizierbarer Biodaten konfrontiert werden. Was sie damit machen ist, das eine. Wie damit umzugehen sein wird, ist das andere. Und ich kann mich an der Stelle nur wiederholen: Dieses Regeldefizit muss baldmöglichst auf die Agenda der Arbeitgeber gehoben werde.

management meetings: Es bleibt spannend und wir freuen uns, wenn wir mit Ihnen den weiteren Forschungsverlauf begleiten dürfen. Lieber Herr Prof. Sauer, ganz herzlichen Dank für diese interessanten Eingaben.

Prof. Dr. Sebastian Sauer, Professor für Wirtschaftspsychologie FOM Hochschule für Oekonomie & Management München

Sebastian Sauer hat seit April 2014 den Lehrstuhl für Wirtschaftspsychologie bei der FOM Hochschule in München inne. Er bietet mit seinem Beratungsunternehmen Data Divers Dienstleistungen im Rahmen der statistischen Analyse von Daten an. Zwischen 2011 und 2014 leitete Sebastian Sauer das Referat Wissen+ beim MDK Bayern. Davor war er bei als Wissenschaftler an der Universität München und als Unternehmensberater tätig.
Sebastian Sauer studierte, promovierte und habilitierte an der Universität Koblenz-Landau.

Kontakt: sebastian.sauer@fom.de

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Praxisnähe wird an der FOM Hochschule ohnehin großgeschrieben: 1991 von Wirtschaftsverbänden gegründet steht die Hochschule nach wie vor in engem Kontakt zu über 800 Kooperationsunternehmen. Darunter sowohl Konzerne wie IBM, Peek & Cloppenburg, Siemens und die Telekom als auch Mittelständler. Viele Unternehmensvertreter engagieren sich in den Gremien der Hochschule und liefern wichtige Impulse für die Einrichtung neuer Studienzentren sowie die Entwicklung neuer Studiengänge.
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